IMHO :-) Film 
 

Intensives Haarwurzeltraining

In der neuen Talentschmiede von Alfred Nobel,
dem Enfant terrible des deutschen Films,
lernen Schauspieler nur das Wesentliche: Richtiges
Weghechten bei Explosionen Von Enrico Scottini

Die dünnen Nylonfäden sind
haltbar genug, um einen vollbela-
denen LKW daran aufzuhängen,
aber trotzdem bleiben sie für den
Betrachter unsichtbar. So scheint
Petra Kalschewski, eine junge
Nachwuchsschauspielerin aus
Göttingen, die nervös auf ihren
Einsatz wartet, reglos in der Luft zu
schweben.

Doch noch ist Pause, und Alfred
Nobel, der Mann, der den deut-
schen Film revolutioniert hat, sitzt
am Rande des Trainings-Sets vor

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einem Fernsehgerät und zappt ge-
nervt durch die Werke der Filmkol-
legen. "Bah! Ist das nicht fürchter-
lich leblos!?" kommentiert er ange-
widert und macht bei der Wetter-
karte kurz halt. "Da prallt ein Hoch
mit Wucht auf ein Tief, und was
zeigen diese Langweiler? Sie
müssen sich einmal vorstellen,
was für gewaltige Energien da auf-
einandertreffen! Aber statt einem
richtig schönen Feuerball gibt's nur
ein H im Kreis. Wann werden die
Leute es endlich lernen?"

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Zweifellos geben die Einschalt-
quoten dem Regie-Giganten No-
bel recht; seit es auf allen Kanälen
nur noch raucht, kracht und brennt,
ist Bewegung in die angestaubte
Fernsehlandschaft gekommen.
"Explosionen", doziert er, während
er langsam zurück zum Set schlen-
dert, "sind das einzige, was
die Zuschauer wirklich interessiert.
Außer vielleicht Sex. Vergessen
Sie diesen ganzen hochkünstleri-
schen Schauspiel-Quatsch."

Eines der offenen Geheimnisse
seiner sensationellen Regieerfolge
ist, daß Nobel seine Akteure bei
Explosionen das Weghechten in
Zeitlupe spielen läßt, getreu der
Schauspielerweisheit: "Nur ein
nüchterner Schauspieler kann ei-
nen Betrunkenen richtig darstellen."

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"Und Aaahkschn!" Eine giganti-
sche Detonation ertönt dumpf rol-
lend vom Band, und auch der Feu-
erball ist in dieser Übungssituation
nur ein Dia, welches hinter der jun-
gen Schauspielerin auf eine rie-
sengroße Leinwand projiziert wird.
"Was ist ein Dia schon anderes
als eine superextreme Zeitlupe?"
bemerkt Nobel.

"Aus! Aus!" brüllt er dann wütend.
"Drei Schritte, Sprung! Wie oft soll
ich es noch sagen?" Petra Kal-
schewski, die das Grundgesetz
aller modernen Filmschaffenden
nicht beachtet hat und vier Schritte
gelaufen ist, senkt schuldbewußt
den Kopf. "Kein Zuschauer ist be-
reit, länger als drei Schritte auf den
erlösenden Hechtsprung zu war-
ten", knirscht Nobel. "Als Faustre-

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gel gilt: Nach dem dritten Schritt
wird weggezappt!"

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Und mit Schaudern erzählt er
von Peter Zadeks für Arte gedreh-
tem Thriller "'Resopalplatten in
Moskau' oder 'Das verschimmelte
Brot'", in welchem Zadek eine Ex-
plosion probierte und seinen Hel-
den vor dem Hechtsprung mehr als
achthundert Schritte laufen ließ. Mit
der Verzweiflung des davoneilen-
den Helden wuchs auch die Ver-
zweiflung der Zuschauer: Nach den
ersten hundert Schritten kamen
wütende Anrufe, nach zweihundert
Bombendrohungen, nach dreihun-
dert Schritten wurde Werbung ein-
geblendet, mit dem wenig ermuti-
genden Hinweis: "Es geht gleich
weiter!" und nach vierhundert
Schritten mußte der Sender Kon-
kurs anmelden und blieb nur
durch die Finanzspritze eines fran-
zösischen Mäzens am Leben.

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Noch einmal hat sich Kalschew-
ski bereitgemacht und soll jetzt
gleich die hohe Schule jedes No-
bel-Adepten zeigen: die Superzeit-
lupe! Um ihren Fehler mit den drei
Schritten wieder gut zu machen,
spielt sie sich nun die Seele aus
dem Leib: Von den unsichbaren
Fäden gehalten, in einem Winkel
von 45 Grad nach vorn geneigt,
rennt sie um ihr Leben. Fast eine
Minute grandioser Körperbeherr-
schung dauert es, bis sie, das
Standbein noch fest am Boden
haftend, das Spielbein zur Beu-
gung gebracht und gleichzeitig den
Kopf in Richtung des Feuerballs
gedreht hat. Die Gefahr erken-
nend, meißelt sich Todesangst in
ihr Gesicht, und ihre Pupillen
scheinen sich auf die Größe von
Suppentellern auszudehnen.

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Während des zweiten Schrittes
zeigt sich dann die Wirkung ihres
Slow-Motion-Shampoos und dank
ihres monatelangen intensiven
Haarwurzeltrainings ist sie in der
Lage, mit ihren Haaren die Wir-
kung der Druckwelle zu spielen.
Endlich im dritten Schritt streckt
sich kraftvoll ihr Standbein und in
etwa anderthalb Meter Höhe hech-
tet sie mit nach vorn gerissenen
Armen langsam aus der Gefahren-
zone.

Ausgelassen jubelnd springt die
Filmcrew am Set herum, und No-
bel gratuliert Kalschewski zu ihrer
hervorragenden schauspieleri-
schen Leistung. Spontan be-
schließt er, diese Sequenz, die ei-
gentlich nur zu Kontrollzwecken auf
Zelluloid gebannt wurde, in einen

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Film einzubauen. "Egal in welchen.
Damit wird alles zum Thriller! So-
gar das ZDF-Politbarometer!"

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BRAOCH

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